Ein Rubel – plötzlich nur noch ein US‑Cent wert? Psychologisch ist das für den Kreml, der sein Land in der Welt gern als potente Supermacht präsentiert, ganz sicher ein Desaster. Aber auch ökonomisch?
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Zumindest reagierte die russische Zentralbank am Dienstag prompt und hob den Leitzins um 3,5 Prozentpunkte auf 12 Prozent an – ein drastischer Schritt!
Die Schwäche der russischen Währung beschäftigt die Welt derzeit stärker als die Situation im Kriegsgebiet, wo nicht viel passiert. Schon gibt es Finanzexpertinnen und ‑experten, die hier, am Finanzmarkt, die eigentliche Sommeroffensive sehen – die Wladimir Putins Aggressionsarmee doch noch das Genick brechen könnte.
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„Der schwache Rubel ist bisher das deutlichste Signal, dass Russland diesen Krieg verliert“, kommentiert Timothy Ash, Schwellenländerstratege bei der Fondsgesellschaft RBC Bluebay. „Dies ist ein Signal der Schwäche an die Außenwelt – die russischen Behörden würden den Absturz auf keinen Fall zulassen, wenn sie nicht in Schwierigkeiten wären.“
Putin würde derzeit auf dem Schlachtfeld genauso „bluten wie in der Wirtschaft, an der Heimatfront“, frohlockte Ex‑CIA-Chef David Petraeus. „Putin ist in einer sehr, sehr schwierigen Situation“, so Petraeus gegenüber CNN. „Wir müssen die Schrauben weiter anziehen.“
Eine Kriegswirtschaft folgt nicht den Gesetzen des Marktes
Was war passiert? Am Montag rutschte die russische Währung – Tiefpunkt einer monatelangen Talfahrt – erstmals wieder unter eine symbolische Marke. Für einen Euro gab es 100 Rubel. Das sind 25 Prozent Wertverlust seit Jahresanfang. Deutet das Abrutschen des Rubel auf den Anfang vom Ende der Herrschaft Putins hin?
Übersehen wird dabei, dass eine Kriegswirtschaft nicht den normalen Gesetzen des Marktes folgt. Aber: Die Rubelschwäche ist Ausdruck einer systemischen Störung und Schieflage der russischen Wirtschaft, die es auch schon gab, als der Rubel vor einem Jahr ob seiner vermeintlichen Stärke bewundert wurde.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
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Was sind die Ursachen für die derzeitige Rubelschwäche?
Es gibt die harten Faktoren und die weichen. Als harte Faktoren machen Experten vor allem die Verschlechterung der russischen Handelsbilanz verantwortlich. Durch die staatlichen Ausgaben für den Krieg – darunter fallen nicht nur Ausgaben für Rüstungsgüter, sondern auch Zahlungen an Soldaten, Ausgaben im Transportwesen, für die Genesung Verletzter, die Kosten der Besatzung annektierter Gebiete etc. – ist die Wirtschaft nur nominal gewachsen.
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Das alles wirkt wie ein gigantisches Investitionsprogramm, bringt dem Staat aber keinerlei Einnahmen oder nachhaltiges Wachstum. Importe, die in Devisen bezahlt werden, sind durch die Sanktionen jedoch teurer geworden, auch weil oft Umwege in Kauf genommen werden. Gleichzeitig sind die Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas gesunken.
Russland, Elwira Nabiullina, Leiterin der russischen Zentralbank.
© Quelle: IMAGO/SNA
Die Präsidentin der Notenbank, Elvira Nabiullina, hat für die Rubel-Schwäche vor allem die Verschlechterung der Außenhandelsbedingungen verantwortlich gemacht. Die von den westlichen Industriestaaten auferlegte Preisobergrenze für Rohöl hat zu einem anhaltenden Rückgang der Exporteinnahmen geführt. Russland verkauft zwar mehr Öl in andere Länder wie China oder Indien, muss aber Abschläge vom Weltmarktpreis hinnehmen. Dies belastet die Handelsbilanz.
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Der Verfall des Rubels signalisiert, dass die westlichen Sanktionen das Land doch erheblich schwächen. Der jetzt erfolgte Absturz der russischen Währung ist umso bemerkenswerter, als zuletzt die Ölpreise wieder kräftig gestiegen sind.
„Weiche Faktoren“, die auf die Rubelschwäche wirken, sind oft psychologischer Natur: Verunsicherte Menschen retten ihr Vermögen, tauschen Rubel gegen Devisen oder transferieren ihr Geld ins Ausland.
Hier wirkte zum Beispiel der gescheiterte Aufstand des Chefs der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, wie ein Brandbeschleuniger: In der Folge gab es erstmals für einen Euro 100 Rubel. Der Abfluss von Kapital aus Russland war Ende Juni deutlich und sprunghaft gestiegen.
Wenn jetzt wieder viele Menschen in Russland Rubel abstoßen und stattdessen in Euro, Dollar oder chinesische Yuan investieren, fehlt innen das Vertrauen in die Währung des eigenen Landes – in der Endkonsequenz auch in den Kurs der eigenen Führung.
Beides, weiche und harte Faktoren, führen dazu, dass der Rubelkurs sinkt.
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Wächst Russlands Wirtschaft?
Die russische Wirtschaft ist im Frühjahr nach offiziellen Angaben wieder gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte danach im zweiten Quartal um 4,9 Prozent zum Vorjahr zu. Zuvor war die russische Wirtschaft vier Quartale in Folge im Jahresvergleich geschrumpft.
Dass Kriegswirtschaften wachsen, ist eigentlich der Normalfall. Eine Kriegswirtschaft ist wie ein gigantisches staatliches Investitionsprogramm – nur eben ohne positiven Effekt auf künftige Entwicklungen.
Wachstum ohne positiven Effekt: Russlands Kriegswirtschaft. Hier eine Waffenmesse in Kubinka bei Moskau.
© Quelle: IMAGO/SNA
Das nominale Wachstum wird durch die Ausweitung der Rüstungsproduktion beeinflusst, durch den Bau von Panzern und Raketen und durch die hohen Staatsausgaben für Soldzahlungen und Kompensationen für die Angehörigen getöteter Soldaten. Übrigens: Auch die Wirtschaft des Deutschen Reiches wuchs in beiden Weltkriegen exorbitant, wie Zahlen der Uni Münster zeigen.
Gestützt wird das Wachstum aber vor allem durch die Staatsausgaben – die nicht zwingend durch Einnahmen gedeckt sind. Die Ausgaben für den Krieg gegen die Ukraine wurden immer wieder erhöht. Das stützt die Industrieproduktion. Der private Konsum wird durch gestiegene Sozialleistungen und höhere Löhne beflügelt.
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Gleichzeitig sinken Russlands Staatseinnahmen. Die Folge ist ein wachsendes Staatsdefizit, das zunehmend durch Schulden – eine Art Wette auf den Sieg – ausgeglichen werden muss.
Welche Folgen hat die Rubelschwäche für die Russen?
Obwohl Russlands Wirtschaftsleistung wächst, schrumpft der Wohlstand der Russen deutlich. Der schwache Rubel führt dazu, dass sich die Importe verteuern. Das wiederum führt zu steigenden Verbraucherpreisen, auch wenn Russland kaum noch Waren des täglichen Gebrauchs importiert – anders als zum Beispiel Industriegüter. Russland hat bislang, weil weitgehend abgekoppelt vom globalen Markt, eine vergleichsweise geringe Inflation von 4,3 Prozent, die ja weltweit vor allem auf den explodierenden Rohstoffpreisen basierte. Zudem stehen alle offiziellen Zahlen des Kreml unter Vorbehalt.
G7 nehmen Russlands Einnahmequellen ins Visier
Weil Russlands Präsident Wladimir Putin auch mehr als ein Jahr nach dem Überfall auf die Ukraine nicht einlenkt, wollen die G7 die Sanktionen verstärken.
© Quelle: Reuters
Für den Kreml ist vor allem katastrophal, dass sich der Rubel seit Januar auch zum chinesischen Yuan um rund 23 Prozent verbilligt hat. Denn Moskau nutzt seit den westlichen Sanktionen gezwungenermaßen die chinesische Währung für den eigenen Außenhandel. Zwar haben die Importe wieder das Vorkriegsniveau erreicht, nur dass ein Großteil der Konsumgüter und Waren nun nicht mehr aus dem Westen, sondern aus China, der Türkei, Zentralasien und den Emiraten importiert werden. Dass die Einfuhren oft in Yuan bezahlt werden, hat den Rubel zusätzlich geschwächt.
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Gesamtwirtschaftlich ist der schwächere Rubel auch folgenreich, weil er zu höheren Kosten für den Schuldendienst führt und damit die Staatskassen unter Druck setzt. Der russische Staatshaushalt schloss im ersten Halbjahr mit einem Defizit von 2,6 Billionen Rubel, das sind etwa 26 Milliarden Euro. In den ersten sechs Monaten 2022 wurde noch ein Überschuss von 1,48 Billionen Rubel erzielt.
Für den Staat wächst damit die Lücke aus steigenden Kosten für den Krieg und geringeren Einnahmen aus Energieexporten.
Ist der Rubelkurs ein Indikator für eine ernsthafte Wirtschaftskrise?
Nur bedingt, weil der Rubel nur noch bedingt eine frei konvertierbare Währung ist. Durch die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen im März 2022 sollte die Flucht des Geldes außer Landes nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine verhindert werden – gleichzeitig wurden die Leitzinsen kräftig angehoben, um so den Rubel attraktiver zu machen.
Dass der Kreml im Frühjahr 2022 bestimmte, für Gasexporte künftig nur noch Rubel zu akzeptieren statt wie vertraglich vereinbart Dollar oder Euro, führte zu einer zusätzlichen Stabilisierung der russischen Währung, ebenso wie der Druck auf einheimische Unternehmen, Devisenreserven „umzurubeln“.
Putin will Gaslieferungen jetzt nur noch in Rubel beglichen haben
Russland werde seinen vertraglichen Verpflichtungen bei Menge und Preisen natürlich nachkommen, sagte der russische Präsident Wladimir Putin.
© Quelle: Reuters
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Im Normalfall bestimmten Angebot und Nachfrage den Kurs einer Währung. Doch die oben geschilderten Eingriffe (und einige weitere) waren so schwerwiegend, dass manche Fachleute sogar davon sprachen, der Rubel habe seine Konvertierbarkeit verloren, der Rubelkurs werde von staatlichen Stellen mehr oder weniger festgelegt. Wie frei konvertierbar der Rubel tatsächlich ist – darüber sind sich Expertinnen und Experten uneins.
Auch die westlichen Sanktionen hatten mit dem vorübergehenden Anstieg des Rubel zu tun: Die Exporteinnahmen des Kreml nahmen zu, weil die Energiepreise stark stiegen und Russland damals noch weitgehend uneingeschränkt Rohstoffe exportierte. Gleichzeitig griffen die Sanktionen für Exporte nach Russland schneller, das Land konnte also weniger Waren kaufen und gab weniger Rubel aus.
Der Überschuss im Außenhandel stieg steil an, im Jahresverlauf 2022 auf den Rekordwert von 332 Milliarden Dollar. All das trieb den Kurs des Rubel nach oben, war aber nie ein Ausdruck für die wahre Stärke der russischen Wirtschaft. Jetzt hat sich die Situation gedreht: Die Ölpreise sind an den Weltmärkten gesunken, der von den G7‑Nationen verhängte Preisdeckel für russisches Öl entfaltet in Teilen seine Wirkung.
Welche Möglichkeiten hat der russische Staat, um gegenzusteuern?
Normalerweise sind Devisenkäufe der Königsweg einer Zentralbank, den Verfall der eigenen Währung aufzuhalten. Doch die russische Zentralbank hat dafür zu wenig Munition. Von den offiziell ausgewiesenen Devisenreserven in Höhe von 585 Milliarden Dollar sind rund 330 Milliarden in westlichen Ländern eingefroren.
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Also bleibt als letztes Mittel die ungeliebte weil wachstumshemmende Zinserhöhung. Davon machte man am Dienstag reichlich Gebrauch: Der Leitzins werde von 8,5 auf 12,0 Prozent angehoben, teilte die Zentralbank nach einer außerordentlichen Sitzung mit. Es ist die stärkste Zinsanhebung seit März 2022.
„Die Entscheidung zielt darauf ab, Preisstabilitätsrisiken zu begrenzen“, hieß es in der Stellungnahme der Notenbank. Der Effekt blieb aber eher gering. Am Dienstag setzte sich der Wertverfall der russischen Landeswährung fort, wenn auch verlangsamt.
Bringt die Rubel-Schwäche Russland auch Vorteile?
Der russische Rubel hilft dem Kreml, das wachsende Defizit im Staatshaushalt etwas zu deckeln – auf Kosten der Bevölkerung, nach dem Prinzip: wertvollere Einnahmen, wertlosere Ausgaben.
Das liegt daran, dass die Rohstoffeinnahmen aus dem Export im Wesentlichen in ausländischen Währungen verdient werden, Renten, Beamtengehälter und Rüstungsverträge vom Staat aber in Rubel bezahlt werden. Mit jedem so eingenommenen Dollar oder Euro stehen dem russischen Staat zudem mehr Rubel für Militärausgaben zur Verfügung, die ja überwiegend in der eigenen Rüstungsindustrie gekauft werden.
Wenn der Rubel gegenüber Dollar oder Yuan an Wert verliert, stehen Russland pro exportiertem Fass Rohöl so mehr Rubel zur Verfügung, selbst bei einem unveränderten Ölpreis. Bedingung dafür ist aber, dass zum Beispiel Chinas Wirtschaft nicht schwächelt und deren „Ölappetit“ nicht nachlässt. Und dass der Ölpreis nicht fällt.
Author: Keith Pennington
Last Updated: 1703623681
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