Wenn über einen
berühmten Künstler gesagt wird, seine "frühen Werke" seien die besten, schwingt
nicht selten ein Vorwurf mit. Die Kunst, so heißt es oft, sei am Anfang der
Karriere freier oder authentischer gewesen. Mit dem Einzug ins Establishment,
so Klage und Klischee, kamen die Kompromisse, der Verrat an der eigenen Sache.
Auch bei Spike Lee, dem wohl wichtigsten Schwarzen Filmemacher der USA, gibt es diese Kritik. Seine Bedeutung wird an Filmen wie Do the Right Thing, Malcolm X oder Bamboozled festgemacht, die allesamt in den 1980er und 1990er Jahren entstanden sind. Lee setzte sich darin mit verschiedenen Ausformungen rassistischer Gewalt auseinander, und er tat das so direkt und oft auch so unversöhnlich, dass manchen Kritikern nichts Besseres einfiel, als ihm selbst einen Aufruf zur Gewalt zu unterstellen. Diese Panikmache wiederum war ziemlich offensichtlich selbst von Ressentiments geprägt.
Lee, der Pionier des New Black Cinema, hat nie aufgehört, Rassismus zu beleuchten. Seit einigen Jahren allerdings halten ihm seine Kritiker vor, er habe seinen radikal-kritischen Blick von früher verloren. Seinem oscargekrönten Film BlacKkKlansman wurde sogar vorgeworfen, er betreibe copaganda: Propaganda für die Polizei.
Außerdem nahm man dem Filmemacher übel, dass er ausgerechnet für das New York Police Department als Berater gearbeitet und dafür über 200.000 Dollar Honorar bekommen hatte. Für eine Institution also, die immer wieder durch Gewalt an Afroamerikanern auffällt. Zuletzt sorgte seine Werbung für Firmen wie Uber und Coin Cloud (einen inzwischen bankrotten Betreiber von Bitcoin-Automaten) für Empörung. Das alte Geldsystem sei weiß, sagte Lee in einem Werbespot 2021, die neuen Kryptowährungen dagegen "inklusiv". Als die Kryptoblase Ende 2022 platzte, litten überproportional viele Schwarze Amerikaner an den Folgen. Manche Kritiker kündigten daraufhin einen privaten Boykott von Spike Lees Filme an. Von der "digitalen Rebellion", die der Filmemacher versprochen hatte, ist heute nicht mehr viel zu spüren. Spätestens seit der Krypto-Aktion fragen sich viele, was eigentlich mit dem Filmemacher los ist.
Seit Anfang Oktober nun läuft im Brooklyn Museum in New York die erste große Ausstellung weltweit, die sich mit Lees Leben und Werk auseinandersetzt. Mehr als 400 Objekte aus seinem Besitz können besichtigt werden – Bücher, Kleidung, Briefe, Instrumente, Plakate. Seine creative sources, seine kreativen Quellen, wie der Titel der Ausstellung lautet. Man taucht in Lees bunten Kosmos ein, staunt über die Fülle seiner Ideen, Beziehungen, Projekte.
Gleich zu Beginn der Ausstellung wird deutlich, wie untrennbar Lees Leben mit der Schwarzen Befreiungsbewegung verbunden ist. Das Erste, was man hört und sieht, ist Denzel Washington in seiner Rolle als Malcolm X – ein Ausschnitt aus Spike Lees gleichnamigen Biopic von 1992, dessen Genese zu seinen schmerzhaftesten und stolzesten Errungenschaften zählt. In einer anderen Ecke des Raumes hängt ein 1960 gemaltes Bild des in Harlem geborenen Künstlers Norman Lewis mit dem Titel America the Beautiful. Es zeigt weiße Farbflecken auf schwarzem Hintergrund: abstrakt und doch völlig unverkennbar als Mitglieder des Ku Klux Klans erkennbar, die in ihren weißen Kutten bei einem nächtlichen Terrorakt zu sehen sind. Ein paar Meter weiter schauen wir in das jugendliche Gesicht von Trayvon Martin, der 2012 von einem so genannten Nachbarschaftswärter erschossen wurde. Der Freispruch des weißen Täters im Jahr darauf markiert den Beginn der Black-Lives-Matter-Bewegung. Verschiedene Epochen der Schwarzen Geschichten verschmelzen in diesem Raum zu einer Collage von Rassismus und Widerstand.
Dann zur Familie. Lees
Mutter Jacqueline, eine Lehrerin, verpasste ihrem störrischen Sohn Shelton
Jackson den Spitznamen Spike (Stachel) und nahm ihn mit in Museen, Kinos und
Theater, was sein künstlerisches Interesse weckte. Lee war im College, als sie
an Krebs starb; ihren Tod verarbeitete er in dem halb-biografischen Film Crooklyn,
dessen Drehbuch er gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Joie schrieb. Es ist
Lees melancholischster Film. Der Vater Bill war ein bekannter Jazzmusiker, der
unter anderem mit Bob Dylan spielte und für die ersten Werke seines Sohnes die
Soundtracks schrieb. Golden eingerahmt ist das Kondolenzschreiben, das Lee zum
Tod seines Vaters im Mai dieses Jahres von der US-Vizepräsidentin Kamala Harris
bekam.
Der nächste Raum ist dem Stadtteil Brooklyn gewidmet, in dem die Familie nach ihrem Umzug von Atlanta lebte. Erst in Crown Heights, dann in Cobble Hill, später in Fort Green, bis heute Sitz von Lees Produktionsfirma 40 Acres and a Mule Filmworks. Die Straßen Brooklyns waren für den Filmemacher Heimat und Inspiration. "Ich wollte die Fülle afroamerikanischer Kultur einfangen, die ich sehen konnte, wenn ich einfach nur an der Ecke stand oder aus dem Fenster geschaut habe."
Author: John Jones
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